Wie Medien unsere Identität beeinflussen


Medien umgeben uns alltäglich und sind dadurch zu einem festen Bestandteil unseres Lebens geworden. Vor allem während der Jugend, wenn wir uns besonders intensiv mit der eigenen Identität auseinandersetzen, können uns mediale Bezugspersonen Orientierung spenden. Doch welchen Einfluss haben Medien tatsächlich auf unsere Identität – und wie kann dieser Einfluss in Bildern visualisiert werden?

Sophia Carrara

„Als Jugendliche wollte ich generell immer anders als die anderen sein und mein eigenes Ding machen. Ich hatte oft komische, außergewöhnliche Kleider an und habe mich dabei sehr an den Künstlern der Musik orientiert, die ich gehört habe, wie zum Beispiel Green Day, Blink 182 usw. Meinen Musikgeschmack wiederum hat mein Cousin stark geprägt. Er hat mir die ganzen Bands gezeigt und auch die Lieder, die er in seiner eigenen Band gesungen hat.“

Hannah und ich müssen beide lachen als sie das erzählt. Ich kenne sie eigentlich schon immer, da unsere Mütter sehr gut befreundet sind. Daher weiß ich genau, was sie mit „komischen Kleidern“ meint und welche Musik sie früher am liebsten gehört hat. Hannah ist eine der 32 Personen, die ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit interviewt habe, um aus ihrem Medienkonsum in der Jugend Rückschlüsse auf die Beeinflussung ihrer Identität ziehen zu können. Während meines Fotodesign-Studiums habe ich mich hauptsächlich mit der visuellen Kommunikation verschiedener Themen und Theorien in Form von Fotografien auseinandergesetzt. Für meine Bachelorarbeit war es mir deshalb besonders wichtig, dass die praktische Umsetzung meiner Arbeit auf einer wissenschaftlichen Theorie basiert. Was sagt also die Forschung zum Zusammenhang von Medienkonsum und Identitätsbildung?

Medien und der moderne Alltag

Medien können uns in vielerlei Hinsicht prägen und beeinflussen. Durch die voranschreitende Entwicklung der Technik haben wir immer mehr Möglichkeiten, orts- und zeitunabhängig auf Medieninhalte zuzugreifen, die uns persönlich interessieren. Vor allem Geräte wie das Smartphone tragen dazu bei, dass Medien stark in unseren Alltag eingebunden sind. Somit sorgen sie dafür, dass unsere reale Lebenswelt allmählich mit der Medienwelt verschmilzt. Egal, ob wir morgens die Nachrichten lesen, auf dem Weg zur Arbeit unseren Lieblingspodcast hören oder uns abends mit Freunden einen Film im Kino ansehen – Medien sind zu einem festen Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden. Somit nehmen sie auch verschiedene Funktionen für uns ein: Durch sie können wir uns über die aktuellen Geschehnisse in der Welt informieren, nach einem anstrengenden Tag dem Alltag entfliehen oder uns weniger alleine fühlen, wenn wir Gesellschaft brauchen. Darüber hinaus können sie aber auch zur Entwicklung unserer Persönlichkeit beitragen und unsere Identität beeinflussen.

Wie Identität entsteht

Es gibt zahlreiche Theorien, die sich damit auseinandersetzen, was Identität bedeutet und wie sich diese bildet. In einem sind sich die Wissenschaftler*innen jedoch einig: Identität braucht einen gesellschaftlichen Rahmen, um entstehen zu können. Das heißt, sie kann sich nur entwickeln, wenn wir in einem ständigen Austausch mit anderen Individuen stehen und durch deren Reaktionen Rückschlüsse auf unsere eigene Identität ziehen können. Dieser Prozess der Identitätsbildung ist niemals abgeschlossen, sondern findet ein Leben lang statt. Einschneidende Erlebnisse oder Phasen der Unsicherheit und des Umbruchs wirken sich jedoch besonders prägend auf unsere Identität aus. Befinden wir uns in einem derartigen orientierungslosen Zustand spricht man auch von einer sogenannten Identitätsdiffusion. Diese kann einerseits durch Schicksalsschläge ausgelöst werden, findet jedoch bei allen Menschen gleichermaßen auch während der Jugend statt.

Medien

Der Begriff des Mediums umfasst ein ganzes Spektrum an Bedeutungen. Als Medium können einerseits Kommunikationsmittel (wie der Fernseher) oder auch Medieninhalte (wie Fernsehsendungen) bezeichnet werden. In meiner Arbeit werden unter dem Begriff Medien die Inhalte audiovisueller Massenmedien wie dem Kino, Fernsehen oder digitaler Medien verstanden.

Identität in der Jugend

Die Phase der Adoleszenz, wie die Jugend auch bezeichnet wird, ist von ständigem Wandel und von Unsicherheiten geprägt. Die Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen bringt nicht nur physische Veränderungen mit sich, sondern setzt durch das Treffen wichtiger Lebensentscheidungen auch eine intensive Beschäftigung mit der eigenen Person voraus, wie z. B. durch die Berufswahl. Charakteristisch für diese Zeit ist einerseits die Abgrenzung von früheren Bezugspersonen aus der Kindheit, wie den Eltern. Gleichzeitig ist jedoch das Bedürfnis sehr stark, einer Gruppe anzugehören. Vor allem Freund*innen und Gleichaltrige aus dem direkten Umfeld, sowie Vereine und Organisationen nehmen dadurch einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Nicht zu vergessen sind jedoch die Personen, die Jugendlichen täglich in ihrem mediengeprägten Alltag begegnen. Diese Personen können dadurch auch eine orientierungsspendende Funktion einnehmen.

Parasoziale Interaktionen und parasoziale Beziehungen

Konsumieren wir Medien, dann können wir sogenannte parasoziale Interaktionen mit den Personen aufbauen, die wir aus den Medien kennen. Dabei handelt es sich um eine Form der Interaktion, die einer realen Face-To-Face Kommunikation sehr ähnelt und die vom Rezipienten kurzzeitig auch als solche wahrgenommen werden kann. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass es sich tatsächlich um eine asymmetrische Form der Kommunikation handelt. Das heißt, es gibt keinen Rückkanal, über den wir mit den Medienakteur*innen interagieren können.

Treten wir vermehrt, beispielsweise durch einen regelmäßigen Medienkonsum, mit einer Person aus den Medien in Kontakt, kann aus einzelnen parasozialen Interaktionen eine sogenannte parasoziale Beziehung entstehen. Diese einseitige Beziehung kann eine identitätsfördernde Wirkung für uns entfalten: Da wir nicht mit der Person aus den Medien kommunizieren können, können wir ihr gegenüber verschiedene hypothetische Rollenidentitäten einnehmen, ohne eine Reaktion auf unser Handeln erwarten zu müssen. So können wir unsere eigene Identität in einem spielerischen Umfeld immer wieder neu auszutesten. Parasoziale Beziehungen sind sozusagen eine Spielwiese für die Entwicklung unserer Identität.

Besonders die Rollenidentitäten von Jugendlichen befinden sich in einem starken Wandel. Deshalb sind parasoziale Beziehungen für sie eine ideale Möglichkeit, sich der eigenen Identität bewusst zu werden. Wichtig ist hier jedoch, dass die Erfahrungen, die in den Medien gemacht werden, auch in die ‚reale‘ Lebenswelt transportiert und dort ausgetestet werden. Denn um unsere individuelle Identität ausbilden zu können, brauchen wir zur Orientierung trotz allem die Reaktionen unserer Mitmenschen. Die Bezugspersonen aus den Medien dürfen also keine realen Sozialkontakte ersetzen, sondern lediglich als Ergänzung zu ihnen wahrgenommen und genutzt werden. Ist dies der Fall, können Medien durch ihr breites Angebot an Identitätsmodellen und der Möglichkeit zu fiktiven Rollenexperimenten eine katalysatorische Wirkung entfalten, die die Identitätsentwicklung von Jugendlichen unterstützt.

Die praktische Umsetzung – Interview und Porträt

Der praktische Teil meiner Bachelorarbeit baute auf den eben erläuterten Erkenntnissen der Forschung auf. Mein Ziel war es, fotografisch umzusetzen, wie Medien sich auf unsere Identität auswirken. Dafür habe ich Interviews mit 32 Personen im Alter von 13–104 Jahren geführt, sie zu ihrem Medienkonsum in der Jugend befragt und anschließend porträtiert. Bei der Auswahl der Teilnehmer*innen war mir wichtig, dass diese nicht nur bezüglich ihres Alters, sondern auch bezüglich ihres Wohnorts, Berufs und Charakters ein möglichst breites Spektrum abbilden. Beim Auswerten der Tonaufnahmen aus den Interviews habe ich schließlich pro Person jeweils einen Aspekt herausgegriffen, von dem ich glaube, dass er sie besonders stark geprägt hat. Ich habe die jeweiligen Medienausschnitte recherchiert, auf Papier ausgedruckt, in Schnipsel gerissen und diese Schnipsel mit dem ebenfalls ausgedruckten Porträt der Personen doppelbelichtet.

Rollenidentität

Jeder Mensch nimmt in seinem Leben unterschiedliche Rollenidentitäten ein, je nachdem, in welcher Situation er sich befindet. Dabei passt er seine Identität den sozialen Erwartungen seines Gegenübers an und verhält sich dementsprechend in einem gesellschaftlich bereitgestellten Rollenmuster. Wir verhalten uns beispielsweise in unserer Rolle als Kind unseren Eltern gegenüber anders als in der Rolle als Arbeitnehmer*in unserem Chef gegenüber.

Doppelbelichtung

Die Doppelbelichtung ist eine Technik der Fotografie, bei der zwei unterschiedliche Bildmotive auf denselben Bildträger belichtet werden. Durch die Überlagerung der Belichtungen werden die Motive transparent und verschwimmen zu einem gemeinsamen Bild. Doppelbelichtungen eignen sich daher gut, um verschiedene Themen oder Objekte in einem Bild aufeinander zu beziehen.


„Das Kino hat in unserer Jugend noch nicht so eine große Rolle gespielt. Der erste Weltkrieg war gerade vorbei und wir mussten zum Arbeiten teilweise ins Ausland gehen. Aber ich erinnere mich, dass wir später auch mehrmals Filme angesehen haben, wenn uns die Schauspieler gefielen. In Hallo Janine mit Marika Rökk waren wir zum Beispiel so oft, bis wir das Lied Auf dem Dach der Welt, da steht ein Storchennest auswendig mitsingen konnten.“ Maria Z. (104)

„Zur Musik bin ich grundsätzlich durch meinen Cousin gekommen, der mir ganz viel gezeigt hat. Meine Mum war immer etwas streng was das Fernsehen angeht, deshalb bin ich morgens vor der Schule früher wie sie aufgestanden, um noch ein bisschen MTV zu schauen. Ich merke auch mit meiner Band, dass Visualität in der Musik eine ganz große Rolle spielt. Aus der Kombination von Musik und Bild entsteht ein richtiges Artwork, da mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Dadurch hat man ein intensiveres Erlebnis, und auch als Musiker die Chance, das Gefühl das man ausdrücken will auf mehreren Kanälen zu vermitteln.“ Markus H. (25)

„Als Jugendliche wollte ich generell immer anders als die anderen sein und mein eigenes Ding machen. Ich hatte oft komische, außergewöhnliche Kleider an und habe mich dabei sehr an den Künstlern der Musik orientiert die ich gehört habe, wie zum Beispiel Green Day, Blink 182 usw. Meinen Musikgeschmack wiederum hat mein Cousin stark geprägt. Er hat mir die ganzen Bands gezeigt und auch die Lieder, die er in seiner eigenen Band gesungen hat.“ Hannah D. (22)

„Bei mir in der Familie interessiert sich eigentlich keiner für Autos, außer ich. Obwohl ich früher nie mit Autos gespielt habe, hat mein Freund in der Schule immer von Autos erzählt und irgendwann mein Interesse geweckt. Seither schaue ich mir auf dem Tablet meines Vaters die YouTube Videos von GRIP – das Motormagazin an. Eigentlich wollte ich immer Pilot werden, aber die Ausbildung ist ziemlich teuer…vielleicht könnte mir der Beruf als Automakler aber auch Spaß machen.“ Niclas I. (13)



Meine Intention war es, durch das Prinzip der Doppelbelichtung den prägenden Charakter der jeweiligen Medienausschnitte für die Personen zu verdeutlichen. Gleichzeitig betrachten wir ihre Porträts wie durch eine Art Filter, durch den uns ihre Gesichter – philosophisch gesagt ihre Identitäten – nur fragmentarisch erscheinen. Die Gestaltung erinnert uns außerdem daran, dass wir unsere Mitmenschen nur in bestimmten Rollen und Momenten erleben können und es uns daher generell unmöglich ist, ihre Identität in ihrer Vollkommenheit zu erfassen. Eine Identitätstheorie, die meine Arbeit und besonders die Gestaltung meiner Bilder beeinflusst hat, stammt von dem Sozialpsychologen Heiner Keupp. Er geht davon aus, dass sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens verschiedene ‚Identitätsschnipsel‘ aus seinem Umfeld aneignet und diese zu seinem eigenen individuellen Identitätspatchwork zusammenfügt. Meine Fotografien visualisieren speziell die Schnipsel, die sich die jeweiligen Personen aus den Medien angeeignet haben und die sonst für uns als Außenstehende im Alltag unsichtbar bleiben.

Ergebnisse – Medien als Klangverstärker unserer Identität

In meinen Interviews haben sich viele theoretische Forschungserkenntnisse bestätigt. Vor allem bei den jüngeren Teilnehmer*innen waren oft Sozialkontakte aus dem persönlichen Umfeld ausschlaggebend dafür, dass sie sich mit bestimmten Themen auseinandersetzten. Medien nutzten sie häufig weiterführend, um sich mehr Informationen zu beschaffen und sich intensiver mit diesen Themen zu beschäftigen. Meine Freundin Hannah ist ein gutes Beispiel dafür: In ihrem Fall waren nicht die Medien, sondern in erster Linie ihr Cousin dafür verantwortlich, dass sie sich für bestimmte Bands und Musikrichtungen interessierte. Medien nutzte sie schließlich dazu, um sich intensiver mit dieser Musik zu beschäftigen und sich ausführlicher über sie zu informieren.

Bei älteren Personen war der Zusammenhang zwischen ihrem Medienkonsum in der Jugend und dem Einfluss von Sozialkontakten aus ihrem damaligen Umfeld nicht so stark erkennbar. Dies kann einerseits daran liegen, dass ihre Jugend schon eine Weile her ist und ihnen manche Dinge schlichtweg nicht mehr bewusst in Erinnerung sind. Andererseits hat der Medienanteil in unserem Alltag vor allem in den letzten Jahrzehnten mit der Etablierung des Internets drastisch zugenommen. Gerade ältere Personen, wie beispielsweise die 104-jährige Maria Z., hatten deshalb in ihrer Jugend deutlich weniger Kontakt zu (audiovisuellen) Medien, als es bei den Jüngeren heute der Fall ist. Medien werden dadurch zu einem immer größeren Bestandteil unseres Lebens und somit zunehmend zu einem Klangverstärker unserer Identität.