Plastik-Bakterien


Cyanobakterien können Plastik komplett nachhaltig herstellen, das danach auch noch biologisch abbaubar ist – eine mögliche Lösung für unser globales Müllproblem.

Moritz Koch

Hast du dich auch schon mal gewundert, warum die Bananen oder die Bio-Gurke im Supermarkt nochmal extra in Plastikfolie eingepackt sind? Vor allem, wenn man sich überlegt, dass man das Gemüse ja nur bis nach Hause transportiert, das Plastik aber noch über 400 Jahre in unserer Umwelt verbringen wird. Nicht sonderlich nachhaltig. Das liegt auch daran, dass konventionelles Plastik aus Erdöl hergestellt wird, mit all seinen Problemen. Viel besser wäre es doch, ein alternatives Material zu haben, welches nachhaltig hergestellt wird und biologisch abbaubar ist. Im Rahmen meiner Promotion an der Uni Tübingen forsche ich deswegen an einer nachhaltigen Lösung für das Problem: Mithilfe von „Cyanobakerien“ produziere ich eine neue Form von Bioplastik, die das Müllproblem langfristig lösen könnte.

Cyanobakterien – wie sie das Leben auf der Erde ermöglichten

Cyanobakterien (Abbildung 1) sind an sich eigentlich nichts Neues auf unserer Welt. Seit bereits 3,5 Milliarden Jahren bevölkern sie unsere Erde und haben das Leben auf ihr erst möglich gemacht. Denn als Vorgänger der heutigen Pflanzen „erfanden“ sie die Photosynthese. Damit erzeugten sie eine sauerstoffhaltige Atmosphäre auf der Erde, welche das meiste heute bekannte Leben überhaupt erst ermöglichte. Im Laufe der Evolution verschmolzen dann Cyanobakterien mit anderen Zellen und bildeten so den Ursprung aller Pflanzen. Noch heute sind Cyanobakterien übrigens für einen Großteil der Sauerstoffproduktion verantwortlich: Als Bewohner der Meere besiedeln sie riesige Flächen und produzieren so zusammen mit den Algen sogar genau so viel Sauerstoff als alle Landpflanzen in den Wäldern der gesamten Erde zusammen. Wenn Sie nicht gerade im Meer unterwegs sind, kommen Cyanobakterien aber auch sonst so ziemlich überall vor. Und zwar wirklich überall: von den Wüsten der Erde bis zu kargen Gebieten in der Arktis. Als Überlebenskünstler haben sich diese Organismen über Milliarden von Jahren perfekt an die verschiedenen Gebiete angepasst.

Abbildung 1: Lichtmikroskopische Aufnahme von Cyanobakterien während des normalen Wachstums.

Zugute kommt den Cyanobakterien dabei vor allem die Eigenschaft, dass sie zum Wachstum fast ausschließlich Licht und CO2 benötigen, also phototroph und autotroph wachsen können. Dies macht sie besonders genügsam und erlaubt ihnen, auch an Orten zu wachsen, an denen sonst nichts überleben kann. Und dies sind auch die Eigenschaften, die sie für biotechnologische Anwendungen besonders interessant machen: Cyanobakterien lassen sich dadurch kostengünstig produzieren, denn Licht (gibt es zur Genüge) und CO2 (gibt es mehr als zur Genüge!) sind gratis vorhanden.

Praktischerweise wachsen unsere Cyanobakterien aber nicht nur schnell und genügsam, sondern haben darüber hinaus auch noch eine weitere spannende Eigenschaft: Manche ihrer Vertreter stellen bei Nährstoffmangel ihren Stoffwechsel in eine Art „Winterschlaf“ um und produzieren dabei Polyhydroxybutyrat („PHB“). Was kompliziert klingt ist eigentlich nur eine lange Kette von Molekülen, welche die Zellen in Form von kleinen Granula in ihren Zellen speichern. Die können wir dann als Bioplastik nutzen.

Bioplastik als Lösung des Müllproblems?

Bioplastik ist an sich ja nichts Neues. Viele von euch hatten ja sicherlich schon mal so eine Bioplastik-Mülltüte in der Hand, in die man beispielsweise seinen Biomüll packen kann. Allerdings hat diese Art des heutzutage häufig genutzten Bioplastiks drei essentielle Probleme: Zum einen reißt das Material schnell, es ist nicht sonderlich belastbar (ärgerlich, wenn da dann Biomüll drin ist). Gleichzeitig ist es dann aber so haltbar, dass es auf Biomülldeponien nicht abgebaut werden kann, so dass die Mitarbeiter*innen der Deponie die Tüten per Hand wieder aus dem Müll sortieren müssen und anschließend verbrennen. Abschließend kommt noch dazu, dass diese Art von Bioplastik vor allem aus Mais hergestellt wird. Das bringt wieder das „Tank gegen Teller“-Problem mit sich, was schon zu Hochzeiten des Biosprits diskutiert wurde: Ist es ethisch vertretbar, Lebensmittel wie Mais zu Biosprit (oder Bioplastik) zu verarbeiten, wenn gleichzeitig viele Menschen auf der Welt Hunger leiden?

Glücklicherweise lassen sich all diese Probleme mit dem neuartigen Bioplastik aus Cyanobakterien lösen: Es weist bessere Materialeigenschaften auf, so dass es für alle möglichen Anwendungen geeignet ist. Es ist komplett biologisch in der Natur abbaubar, weil es auch natürlicherweise von dort kommt. Und dank der Herstellung durch Cyanobakterien ist es auch komplett nachhaltig, ohne dabei wertvolle Landfläche zu verschwenden.

Abbildung 2: Elektronenmikroskopische Aufnahme von normal wachsenden (links) und hungernden (rechts) Cyanobakterien. Sobald die Cyanobakterien nicht mehr weiter wachsen können, z.B. weil ihnen Nährstoffe fehlen, verändern sie ihren Stoffwechsel und fangen an, PHB (weiße Kügelchen innerhalb der rechten Zelle) einzulagern.

Die Umsetzung der Lösung

Soweit so gut – wo ist da der Haken? An sich klappt das Konzept schon. Allerdings ist die Ausbeute an PHB aus den Cyanobakterien noch zu gering, um mit konventionellem Plastik, gerade zu Zeiten des niedrigen Ölpreises, zu konkurrieren. Und hier komme ich ins Spiel: Während meiner Doktorarbeit forsche ich daran, wie man die Ausbeute mithilfe biotechnologischer Methoden steigern kann, um so langfristig zu einer nachhaltigen Produktion von Bioplastik zu gelangen. Im Folgenden werde ich nun darauf eingehen, wie ich in meiner Doktorarbeit versuche, diesem Ziel ein Stückchen näher zu kommen. Im Wesentlichen lässt sich meine Promotion in drei Projekte untergliedern:

  1. Die physiologische Funktion des PHB
  2. Die Herstellung genetischer Varianten
  3. Das Phänomen der Heterogenität

1. Die physiologische Funktion des PHB

Neben den Cyanobakterien gibt es noch viele weitere Bakterien, die ebenfalls PHB in ihren Zellen herstellen. Warum sie das genau machen, ist allerdings nach wie vor ungeklärt. Die Tatsache, dass es aber so viele Lebewesen herstellen, deutet auf eine wichtige Funktion hin. Denn würde das PHB den Organismen keinen Vorteil bieten, hätten Sie diese Fähigkeit der Produktion im Laufe der Evolution längst wieder verloren.

Was könnte nun also die Funktion sein? Um diese Frage zu klären, kultiviere ich meine Cyanobakterien unter allen möglichen Lebensbedingungen: mal mit viel Licht, mal mit wenig. Mal heiß, mal kalt. Und so weiter. Als Kontrolle nutze ich dazu einen Trick aus der Molekularbiologie: Im Vorfeld habe ich genetisch eine Variante meines Cyanobakteriums erzeugt, welches die Fähigkeit, PHB herzustellen, verloren hat. Diese Variante lasse ich unter denselben Bedingungen wachsen, wie oben beschrieben. Die Erwartung ist, dass die genetisch unveränderten Cyanobakterien, unsere „Wildtypen“, unter einer bestimmten Bedingung einen Vorteil gegenüber den PHB-freien Cyanobakterien haben, also einfach besser wachsen. So lässt sich dann herausbekommen, unter welchen Umständen PHB von Vorteil für die Zellen ist, was dementsprechend seine physiologische Funktion erklärt. Sobald ich diesen Zustand herausbekommen habe, kann ich ihn gezielt nutzen, um die Cyanobakterien zu einer höheren PHB-Produktion anzuregen. Sollte das PHB etwa bei besonders hohen Temperaturen ein Vorteil sein, könnte ich die Zellen bei eben diesen Umständen wachsen lassen. So würden mittelfristig vor allem Bakterien überleben, die sich an diese Bedingungen besonders gut angepasst haben, indem sie viel PHB produzieren.

2. Herstellung genetischer Varianten.

DEine weitere Möglichkeit, solche PHB-Hochproduzenten zu erzeugen, besteht darin, die Cyanobakterien genetisch zu verändern. Dazu ist es wichtig, zunächst den Stoffwechsel der Bakterien auf einem molekularen Level zu verstehen. Sobald dies gegeben ist, kann man gezielt Gene, die für die PHB-Produktion wichtig sind, stärker anschalten. Im Gegensatz dazu lassen sich andere Gene, welche alternative Stoffwechselprodukte in der Zelle herstellen, abschalten, um so mehr Energie für die PHB-Produktion zur Verfügung zu haben. Auf diesem Wege konnte ich durch das gezielte Einbringen eines bestimmten Gens bereits große Fortschritte erzielen: Das Gen ermöglicht der Zelle, die Bausteine für die PHB-Synthese nun auch aus einem anderen Stoffwechselweg zu beziehen. So konnte die erzeugte PHB-Menge um fast 50 % gesteigert werden.

3. Das Phänomen der Heterogenität

Es ist ein weit verbreitetes Phänomen, dass verschiedene Individuen einer Lebensform nicht exakt gleich, sondern ein klein bisschen unterschiedlich sind. So sind sie auf viele unterschiedliche Lebensbedingungen eingestellt. Wenn beispielsweise eine Baumart immer nur sehr große Nachkommen hätte, wäre es schwierig, an allen verschiedenen Standorten genügend Platz zum Wachstum zu haben. Dafür könnten diese großen Bäume die anderen Pflanzen „überwachsen“ und hätten so besseren Zugang zum Sonnenlicht. Idealerweise hat eine Baumart also einige große und einige kleine Nachkommen, um je nachdem, an welchem Standort diese wachsen müssen, optimal gerüstet zu sein.

Ganz ähnlich verhält es sich vielleicht bei den Cyanobakterien: Wie im Projekt 1 bereits beschrieben, ist es gar nicht unter allen Umständen sinnvoll, all seine Energie in die Herstellung von PHB zu stecken, da letzteres vielleicht gar nicht immer benötigt wird. Deswegen könnte es sein, dass auch die Cyanobakterien eine gewisse Heterogenität in der PHB-Menge aufweisen, um so an alle möglichen Lebensumstände gut angepasst zu sein.

Ob das so ist, und falls ja, wie dies reguliert wird, ist allerdings noch relativ unklar. Erste Analysen bei uns im Labor deuten darauf hin, dass es tatsächlich eine gewisse Vielfalt gibt zwischen Zellen, die entweder viel oder wenig PHB herstellen (Abbildung 3). Gelänge es nun, zu verstehen, was den Unterschied zwischen „Hochproduzenten“ und „Niedrigproduzenten“ ausmacht, könnte man dies nutzen, um noch mehr Zellen dazu zu bewegen, mehr PHB anzureichern.

Abbildung 3: Elektronenmikroskopische Aufnahme von gehungerten Cyanobakterien. Einige Zellen (links) lagern wenig PHB ein im Vergleich zu den rechten Zellen.

Ist Plastikmüll bald Geschichte?

Das weltweite Plastikmüllproblem stellt unsere gesamte Gesellschaft vor eine riesige Herausforderung. Um ihrer Herr zu werden, müssen nicht nur Naturwissenschaftler*innen, sondern auch Politiker*innen, Unternehmer*innen und viele andere Akteur*innen zusammenarbeiten. Wenn er aber ehrlich gewollt wird, kann der Wandel hin zu einer „plastikfreien Welt“ schnell gehen. Und vielleicht können die Cyanobakterien, die schon seit Jahrmilliarden auf dieser Erde leben, einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Das weltweite Plastikproblem

In Europa und dem Rest der Welt werden seit Jahren riesige Mengen an Plastik produziert: 2012 belief sich die Zahl auf 288 Millionen Tonnen. Der Großteil davon (fast 99%) wird aus Erdöl hergestellt.

Vor allem in Entwicklungsländern, wie etwa Indien, gibt es kein entsprechendes Recycling-System. Das Plastik wird einfach verbrannt, was zu einer direkten Produktion von CO2 führt. Viel von dem Plastik landet aber auch in der Natur und verursacht dort große Schäden: Tiere verwechseln das Plastik mit Nahrung und verenden daran. Zudem lagern sich Giftstoffe am Plastik an, welche über die Tiere in die Nahrungskette gelangen. Im Pazifik haben sich die im Meer schwimmenden Plastikteile inzwischen zu einer riesigen „Plastik-Insel“ zusammengelagert, welche die Fläche der USA übersteigt. Ein riesiges Problem, wenn man bedenkt, dass das Plastik nicht wieder aus dem Ökosystem zu entfernen ist, und somit die nächsten ca. 400 Jahre dort verbringen und Schaden anrichten wird. Höchste Zeit also, nach einer nachhaltigen Alternative zu suchen.